(Original Text erschienen im Chip Business-Blog, für ads ich /un-)regelmäßig schreibe: http://blog.chip.de/business-blog/2012/02/28/tun-machen-handeln-agil-im-grosunternehmen/)
Neuerlich bekam ich den Auftrag, in einem großen deutschen Unternehmen eine neue Software entwickeln und einzuführen. Nach einer vielversprechenden ersten Projektbesprechung hatte man sich schnell darauf verständigt, diesmal doch radikal anders vorzugehen: “Agil soll es (bitteschön) sein!”
Nun stammt das kleine Wörtchen “agil” von agere, lat. für “tun, machen, handeln” ab und impliziert, gerade in der Softwareentwicklung, weithin bekannte “agile”-Entwicklungs-Vorgehensweisen wie z.B. “Scrum”. Diese Vorgehensweisen dienen dazu, einfach gesagt, nicht erst 500 Seiten Konzept zu schreiben, dabei 500 Tausend Euro Budget für Berater zu verbrennen um hinterher festzustellen, dass die Software sooooo nie einer wollte.
Bei der agilen Entwicklung tut man eben z.B. jeden Tag mit dem Kunden zusammen sitzen, um dann machen, sprich: entwickeln zu können.
Was aber nun passieren kann, wenn “tun, machen, handeln” auf “großes deutsches Unternehmen” trifft, möchte ich anhand einer Anekdote aus dem eingangs erwähnten Auftrag, berichten:
Herr Meier, der Fachabteilungsleiter IT, war ein gesetzter doch umtriebiger Zeitgenosse. Sein Spitzname, so erfuhr ich im Laufe des Projektes aus internen Unternehmenskreisen, Bärchen, entstammte einer, jeden modischen Wellen der letzten 25 Jahre zum Trotz, unerschütterlichen Vorliebe für entsprechend bunt bedruckte Motiv-Krawatten.
Diesem Spitznamen folgend, kann man aber auch sein Gemüt beschreiben: umgänglich, sachlich und eigentlich niemals aufgeregt. Vielleicht entsprang diese Unaufgeregtheit aber auch der Tatsache, dass Herr Meier bereits in dieser, seiner Abteilung, tätig war zu Zeiten, als sie noch Elektronische Datenverarbeitung genannt wurde und maschinennahe Entwicklungssprachen, der letzte Schrei waren: Herr Meier hatte alles (!) schon erlebt.
Die Idee, Konzepte zu schreiben und diese danach in Software-Code umzusetzen, stammt eigentlich noch genau aus dieser Zeit: bevor hunderte Lochkarten gestanzt oder tausende Zeilen Maschinen-naher Code geschrieben werden sollten, machte es Sinn sich vorher zu überlegen, was wie umgesetzt werden sollte.
Schon bald verabredeten Herr Meier und ich uns zu unserem erstem Projektmeeting, um das weitere Vorgehen zu planen, Verantwortlichkeiten abzustecken und ganz im Allgemeinen, uns besser kennen zu lernen. Was mir im Nachgang zu diesem ersten Termin noch in Erinnerung geblieben ist: 25xYogi-Bär auf der Blau-Braunen Krawatte.
Da ich das Projekt inHouse leitete, verabredeten wir, uns jeden Tag für 30 Minuten zusammenzusetzen, den Projektfortschritt zu überwachen und das weitere Vorgehen zu besprechen.
An unserem ersten “Scrum” Meeting nahmen teil:
Bärchen (Projektleitung IT), Fr. S. (Assistenz), Fr. M. (Marketing, operativ), Hr S. (SAPops.), Hr. W. (SAPcons.), Fr. U. (Compliance), Fr. W. (Compliance), und ich: wir waren zu 8.
Die Atmosphäre war sehr konstruktiv, ja kreativ und und zielführend.
An unserem zweiten “Scrum” Meeting nahmen teil:
Bärchen (Projektleitung IT), Fr. S. (Assistenz), Fr. M. (Marketing, operativ), Hr. S. (SAPops.), Hr. W. (SAPcons.), Fr. U. (Compliance), Fr. W. (Compliance), Hr. K. (IT, F-Ressort), Hr. D. (IT, F-Ressort), Fr. I. (Controlling), Fr. A. (Controlling), Hr. L. (ext. Consultant), Hr. F. (ext. Consultant), Fr. G. (Backend Billing), Hr. P. (Backend Billing), und ich: wir waren zu 16. Nachdem alle 16 da waren, waren die letzten 15 Minuten konstruktiv, ja kreativ und zielführend.
An unserem 3. “Scrum” Tag… – um es kurz zu machen: Sie haben schon einmal etwas von exponentiellem Wachstum gehört? Wir waren 36 Leute, als alle da waren, waren die letzen 5 Minuten konstruktiv, ja kreativ und zielführend.
Ob es Bärchen, der so von seiner tun, machen, handeln Vorgehensweise begeistert und überzeugt gewesen ist, war, der all diese Leute eingeladen hat, ob es der Filterkaffee war, den wir im größten Meetingraum des Unternehmens anboten – ich weiß es nicht mehr.
Doch ich habe noch eine andere Befürchtung: Dieses Projekt war das Erste in diesem Unternehmen, das agil durchgeführt werden sollte – und Bärchen wollte alle Prozessbeteiligten zwecks Abstimmung, Freigabe, Verantwortung und Input an einem Tisch haben – keine Entscheidung alleine treffen – so, wie man es halt “schon immer” gemacht hat.
Doch gerade bei agilen Projekte in Großunternehmen ist es zwingend erforderlich, dass der Projektverantwortliche (“Kunde”) Verantwortung übernimmt und in eine entsprechende Richtung entwickeln lässt – genau darin liegt die Chance, Prozesse zu optimieren, “auch mal andere Wege zu gehen”.
Das Projekt haben wir übrigens ziemlich in den Sand gesetzt, was Timing und Budget anging.
Der Kunde arbeitet aber dennoch weiterhin mit uns zusammen – es war allen Beteiligten klar, dass erst ein gemeinsames Verständnis, mit gemeinsamen Regeln aufgebaut werden musste, was eine agile Vorgehensweise eigentlich bedeutet.
Das Großunternehmen hat langsam agil gelernt und Bärchen kocht immer noch den besten Filterkaffee des Unternehmens.