Ärzte-Streik, Metaller-Streik, besetzte Unis von Bochum bis Paris – was geht in dieser Gesellschaft vor? Man könnte denken, es geht mal wieder „ein Gespenst um“ – doch, obwohl bereits 1910 geboren, ist dieses Gespenst kein bißchen alt geworden – es ist fit und vital, hat nur seinen Namen geändert: es nennt sich jetzt Prekarisierung.
Ja, Wikipedia hilft da wirklich weiter – denn nach der Veranstaltung, die ich gestern Abend hier in einem Hinterhof am Eigelstein in Köln besucht habe, war mir nicht genau klar, worüber diese Menschen eigentlich gesprochen haben – schade eigentlich, ist doch das Thema wirklich ein aktuelles und hochinteressant: Das „Prekariat“ (in Anlehnung an das Proletariat) bezeichnet die Menge an meist jungen Menschen, die von Praktikum zu Praktikum, bzw. als Freelancer von Projekt zu Projekt hecheln, knapp an der finanziell ertragbaren Schwelle entlang, und weder eine Sozialversicherung noch eine großartige Aussicht auf Rente oder sonstige Transferleistungen haben.
Dieses Phänomen ist jedoch kein rein deutsches, sondern betrifft alle Gesellschaften der OECD. Meist tritt es auf in Verbindung mit Arbeitsmarkt-Liberlalisierung und flexibler Gestaltung von Arbeitsverhältnissen.
Diese Entwicklungen sind sicherlich bedenklich: die Diskussion über einen Mindestlohn, sowohl von Arbeitnehmer- aber auch von Arbeitgeberseite her zeigen, dass die Arbeits- und Perspektivlosigkeit kein Thema der „unteren Schichten“ mehr ist: gut ausgebildete Akademiker gehen Putzen oder Zapfen Bier – das aber möglichst in kulturellen Einrichtungen im subkulturellen Millieu 😉
Wird die „Elite“ eines Landes also verheizt? Ist es gerechtfertigt, dass französische Jugendliche bis 25 ohne Grund gefeuert werden können?
Man nicht leugnen, dass es sich hierbei aber auch um ein „Luxusproblem“ handelt (nicht ohne Grund tritt dieses Phänomen in Schwellenländern der 2. und 3. Welt so gut wie gar nicht auf): Gerade auf der gestrigen Veranstaltung spürte man den Charme einer „Boheme“ die mit Becks Fläschchen in der Hand und dreistreifigen Schühchen an den Füßen der Performance mit süffisantem Lächeln auf den Lippen folgte. Dass es überhaupt heutzutage möglich ist, sich von Praktikum zu Praktikum oder als Freelancer zu betätigen, ist meiner Ansicht nach ein gehöriger Verdienst der vorangegangenen Generationen, auf deren monetären Vorschusslorbeeren sich ausgeruht wird: nur wenn Papa die monatliche Unterstützung streicht wird es knapp, und der so verhasste Job im Call-Center wird zur bitteren Sicherung der täglichen Latte Macchiato im Pappbecher mit Plastikdeckel.
Das Prekariat organisiert sich also, und wird am traditionell roten 1. Mai europaweit gemeinsam marschieren – von Amsterdam bis Wien findet man auf der äusserst stylischen Site der „Euromayday“ alle Termine und Treffpunkte.
Ich halte das Thema für wichtig – nur bei aller gebotenen Rücksicht auf mein geringes Wissen von genaueren Hintergründen und Zusammenhängen würde ich mir eine klarere und weniger „versnobbte“ Begegnung damit wünschen: Wikipedia benutze ich gerne, aber die Auseinandersetzung „auf der Straße“ bedarf klarerer, „BILDlicherer“ Sprache und Worte, um von denen verstanden zu werden, die es wirklich betrifft: Nämlich jeden aus unserer Gesellschaft der auch nur ein kleines bißchen Verantwortung für sich und eine Seele für das Gemeinwesen in sich trägt.